Der Käfigturm

Die Turmbücher

In der Frühen Neuzeit diente der Käfigturm als eine Art Untersuchungsgefängnis, in dem verdächtigte Personen inhaftiert und verhört wurden. Die Verhöre wurden in den sogenannten Turmbüchern notiert. Diese sind bis heute erhalten.

Die Masterarbeit von Tina Adam an der Universität Bern wertet erstmals einen Teil der sogenannten Turmbücher aus, welche die Verhöre der Berner Strafgerichtsbarkeit während ca. 200 Jahren dokumentieren. Ihr Untersuchungszeitraum umfasste das 17. Jahrhundert, in dem sie jeweils vier Jahre im Abstand von 20 Jahren quantitativ und qualitativ analysierte (Tina Adam, „Weibliche Kriminalität in Bern im 17. Jahrhundert“, 2017). Aufgrund der Arbeit von Tina Adam werden hier zwei Fälle vorgestellt, die einen Einblick in den Verhör-Alltag im Käfigturm im 17. Jahrhundert ermöglichen.

Maria Hartmeyer

Zu den inhaftieren Personen zählte die 17-jährige Dienstmagd Maria Hartmeyer aus Fahrwangen, dem Amt Lenzburg. Im Jahr 1643 taucht sie das erste Mal in den Berner Verhörprotokollen der Strafgerichtsbarkeit auf, sie geriet jedoch bereits zuvor in Konflikt mit der Obrigkeit: Sie wurde mehrere Male wegen Diebstahlverdacht – das Protokoll enthält längere Liste von Diebesgut – in der Berner Landschaft in Gefangenschaft gesetzt. Im Sommer 1643 wird sie schliesslich wegen Verdacht auf Diebstahl im Stadtbezirk ergriffen, gefangen genommen, ausgepeitscht und aus dem Berner Territorium verwiesen.

Verhör von Maria Hartmeyer

Trotzdem kehrt sie in die Stadt zurück. Bei einer erneuten Inhaftierung gibt sie im Verhör an, dass sie einen Elsässer Knecht namens Liechti kennengelernt habe, der sie haben heiraten wollen. Da er fremd ist, wollte der Pfarrer sie nicht trauen; er musste in die Heimat zurück, um eine schriftliche Bestätigung seines Leumunds zu holen. Im Folterturm, wo sie mit einem Stein aufgezogen wird, gesteht sie schliesslich, dass sie, allein zurückgelassen, aus Verzweiflung einen Diebstahl begangen habe. Sie fügt hinzu, dass sie wahrscheinlich schwanger sei. Der Prozess wird darauf unterbrochen und die junge Frau wird bis zur Klärung der Schwangerschaft zur öffentlichen Zwangsarbeit ins Schallenwerk übergeben. Erst vier Monate später wird klar, dass Maria nicht schwanger ist. Darauf folgt ein weiteres Verhör, in dem Maria beteuert, dass sie keine weiteren Vergehen begangen hat. Sie bittet wegen ihrer «Jugend und Einfalt» um Gnade und verspricht Besserung. Das Urteil fällt milde aus, die Richter rechnen der jungen Magd den Schallenwerkaufenthalt und ihre Jugend an und schicken sie mit einer Verwarnung in ihre Heimat. Sie halten jedoch fest, dass Maria bei einem nächsten Mal nicht mehr so leicht davon kommt. Bei einem weiteren Fehlverhalten werden ihr altes und neues Vergehen zusammengerechnet und die Strafe wird härter ausfallen.

Daniel Singer

Ein eher seltener aber schwerwiegender Fall stellt derjenige von Daniel Singer dar, der im Jahr 1664 wegen seiner „schändlichen Mordthat“ hingerichtet wurde. Luzia Kunz aus Oberburg, die sich mit dem Handel von Samen und Flachs über Wasser hält, wird am 22. Dezember 1664 am morgen früh auf einer kleinen Matte zwischen Kirchdorf und Mühledorf „ermördert“ aufgefunden. Schnell gerät der 19-jährige Daniel aus Noflen unter Tatverdacht. Besonders auffällig: Als er im Wirtshaus in Uetendorf zechte, zahlt er mit in Bern eher seltenen Münzen, die auch die Tote bei sich trug. Wegen diesen Umständen wird der junge Mann ergriffen, von Kirchdorf nach Bern überbracht und am 26. Dezember „inn der Gefangenschaft uss befelch Ihr G[nädigen] h[erren] der be-gangenen that halber, ernstwörtig examiniert“. Die Examinatoren ermahnten den Beschuldigten, die „Hergangenheit treüwlich und inm wahrheit anzuzeigen“. Im Protokoll ist vermerkt, dass Daniel Singer freiwillig und ohne Folterung die Mordtat gestanden habe.

Im Verhör erzählt Daniel, dass Luzia ihn, als sie im gleichen Haus wohnte, fragte, ob er sie nach Bern begleiten wolle. Die beiden waren nicht das erste Mal gemeinsam unterwegs und da Daniel ebenfalls etwas zu erledigen hatte, schliesst er sich ihr an. Unterwegs kommt es zum Streit, worauf Lucia ihn als Schelmen bezeichnete (Hinweis: Beleidigungen besassen in der Frühen Neuzeit eine ehrschädigende Wirkung und verlangten eine Reaktion, unter Männern markierten sie oft den Anfangs-punkt einer körperlichen Auseinandersetzung). Auf ihre Beleidigung hin habe er ihr mit einem „grünen hasligen Stecken, so gar nüt grossgsin“ einen Schlag auf den Kopf gegeben, erklärt Daniel in der Befragung. Sie fiel darauf zu Boden, worauf er ein Messer nahm und ihr in den Hals stach.

Das von den Examinatoren aufgezeichnete Geständnis wurde anschliessend dem Rat (Gnädigen Herren und Oberen Herren Schultheissen, Räht und Burgeren) vorgetragen. Das Urteil lautete wie folgt: Daniel Singer solle „wegen sölichen sÿnes schwären verbrechens und todtschlags (neben empfelchung sÿner Seelen Gott dem Allmächtigen sÿnem Schöpfer und Erlöser) dem Nach-Richter übergeben werden, der Ihme, uff einer Schleiffen, obe aus uff gewohnliche Richt-statt führen (= Galgenhübeli, Anhöhe auf dem heutigen Insel-areal), Ihme daselbsten mit dem Schwert den Kopfabschlagen und hernach mit dem Rad dess Körpers Glieder zerstossen, selbigen inn ein Rad flechten und uff ein Pfaal emporstrecken“. Laut Eintrag wurde die Hinrichtung am 31. Dezember vollzogen.

Verhör von David Singer
Historischer Hintergrund

Solche und ähnliche Verhörprotokolle wurden in Bern in den Turmbüchern festgehalten. Diese beinhalten die chronologische Zusammenfassung der Aussagen und Urteile der Inhaftierten. Die Aussagen, die im Turmbuch überliefert sind, bildeten Grundlage für die Urteilsfindung in Strafrechtsfällen. Die Turmbüchern haben sich mit kleinen Unterbrüchen als Serie von 1545 bis 1747 erhalten und befinden sich heute im Staatsarchiv Bern.

Grundsätzlich gilt: Bei den untersuchten Verhörprotokollen handelt es sich wie bei allen frühneuzeitlichen Gerichtsakten sich um Aufzeichnungen, die durch bestimmte Gegebenheiten geprägt sind: Physischer und psychischer Druck beeinflusst die Geständnisse, Aussagen unterliegen meist einer positiven Eigendarstellung und nicht zuletzt hat der Gerichtschreiber eine Filterfunktion, was aufgezeichnet wird und was nicht. Verzerrungen und Auslassungen gehören damit zu Kriminalquellen wie den Turmbüchern.

Im Turmbuch sind für den von Tina Adam untersuchten Zeitraum (Jahre 1618­–21, 1641–44, 1664–67 und 1687–1690) insgesamt 389 Fälle registriert: Zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen. Häufig kam
es zu einem Eintrag wegen Eigentumsdelikten (32%), darunter Diebstahl, Einbruchdiebstahl, Hehlerei und Betrug. Ferner enthält das Turmbuch Delikte gegen Obrigkeit und Ordnung (32%) wie Aufstände, Amtsmissbrauch oder Eid-Übertretung, aber auch Delikte gegen die Öffentliche Ordnung und Sicherheit wie Bettelei und Vagabundieren. Weiter beschäftigte sich das Ratsgremium mit Sexualdelikten (24%). Zu diesem Vergehen zählt jeglicher Geschlechtsverkehr ausserhalb der Ehe. Schwerwiegend war Ehebruch, der die Institution der Ehe direkt gefährdete. Religionsdelinquenz, beispielsweise Prozesse wegen Hexerei oder Zauberei waren sehr selten registriert. Auch Gewaltdelikte werden kaum erwähnt. Wenn, dann handelt es sich in erster Linie um schwerere Gewaltverbrechen, die im Zusammenhang mit anderen Vergehen wie Einbrüche oder Raub stehen. Die häufigste Strafe war in dem erwähnten Zeitraum der Stadt- oder Landesverweis, der in über 40% aller Fälle gesprochen wurde. In 18% wurden die Inhaftierten unter Bestimmungen aus der Haft entlassen. Weiter konnten Körper- oder Schandstrafen ausgesprochen werden, die auch mit anderen Strafen wie dem Verweis kombiniert wurden. In 8% aller Verurteilungen wurde die Todesstrafe verhängt.